Fiete Casper Hauser

»Es gibt immer den einen Hund, der einen trägt und dann den, der einen verändert.« (sinngemäß nach Maike Maja Nowak)
Die ersten sechs Monate mit Fiete liegen hinter uns und erfahrungsgemäß ist diese erste Zeit immer die absolut anstrengendste Zeit mit neuen Hunden. Alles ist neu und fremd für alle im Haus und Vertrauen ist auf beiden Seiten nicht vorhanden. Wenn es doch keimt, genügt gelegentlich ein kleiner Augenblick, eine winzige Bewegung, ein kleiner Anlass und alles liegt wieder in Trümmern.
Dann gilt es, die Scherben wieder aufzusammeln, sich einen Ruck zu geben und einen anderen Weg zu finden, ein neues Miteinander zu versuchen.
Fiete kannte gar nichts und hatte vor allem Angst. Seine Strategie gegen Angst ist (oder war) Aggression. Er griff alles an, was sich draußen bewegte. Autos, Fahrräder, andere Menschen, andere Hunde.
Es hat die ganzen sechs Monate gebraucht, bis es nicht mehr automatisch und immer geschieht. Autos sind zumeist okay, Fahrräder auch, solange der der Mensch darauf uns weder ansieht, noch anspricht, Omas mit Rollatoren sind dagegen nicht okay.

Draußen trägt er ab uns zu noch einen Maulkorb, damit er selbst und die Welt geschützt ist. Auch drinnen trug er zeitweise einen Maulkorb, wenn wir neue Dinge ausdiskutieren mussten und wir dabei überzeugend souverän sein mussten. Der Korb war oft ein Hilfsmittel für uns, denn wenn ihm etwas nicht passt oder er sich und seine Ressourcen bedroht fühlt, schnappt er zu.
Die ersten Tage seines Hierseins habe ich alle Fehler gemacht, die man machen kann mit so einem Angstbeißer. Der Schlimmste und Gefährlichste war der, dass ich Mitleid mit ihm und seiner Geschichte hatte. Ich versuchte, ihm über besonders »liebes Verhalten« und auch Futter zu zeigen, dass nicht alle Menschen doof sind und wir es gut mit ihm meinen. Es ist auch Teil meiner Geschichte, dass Essen/Futter dabei das Mittel meiner Wahl war.
Was ich damit erreichte war jedoch, dass er mich als sein Futterautomat betrachtete, den es als Ressource zu schützen gilt. Das gab blaue Flecken und ein paar kleine Löcher in Katrins Bein, die einfach nur an Fiete vorbei gehen wollte. Eine furchtbare und traumatische Erfahrung, die Fiete eine Zeitlang den Dauer-Maulkorb einbrachte. Wir wollten ihn in dieser Zeit am liebsten wieder abgeben, es ungeschehen machen, unser altes Leben zurück, wünschten uns »die gute Fee«, die sich in ihn verliebte und ihn gleich mitnahm. Aber es kam keine gute Fee und wir wussten, dass er ihn irgendeinem Tierheim versauern würde, wenn wir das Handtuch werfen. Und dafür haben wir ihn schließlich nicht den langen Weg kommen lassen.
Andere Menschen, vor allem die Wegbereiterinnen der Mensch-Hunde-Kommunikation haben uns Mut gemacht, haben uns sehr unterstützt, standen mit Rat und Tat zur Seite und sie haben Fiete so ein zweites Mal das Leben gerettet.
Der Schlüssel zu Fiete ist nämlich das eigene Bewusstsein darüber, dass man selbst eine autonome Entscheidungsträgerin ist. Und dass jede Entscheidung, die Fiete betrifft, von uns selbst ausgeht und auch so kommuniziert wird. Wir sind die Bestimmerinnen und sagen, wann er zu futtern bekommt, wo es lang geht, wer Kontakt macht, wo er liegt und wo er steht.
Das sagt sich so leicht, stellte aber mein bisheriges Hundebild ziemlich auf den Kopf. Wenn Fiete auf mich zukommt, um gestreichelt zu werden, dann zeigt er mir nicht seine Zuneigung, sondern testet meine Führungstagesform. Es ist meine Aufgabe, ihn dann ruhig, aber konsequent wegzuschicken, denn ICH entscheide, wann ein Kontakt stattfindet.
Ein Teil von mir freut sich sehr über seine Anfrage und fühlt sich geschmeichelt, aber das trifft nur auf mein Primaten-Bedürfnis nach Kontakt und damit helfe ich ihm nicht. Im Gegenteil. Bei Pferden heißt das »Wer den anderen bewegt, hat die Macht«. Und bei Hunden ist es ähnlich.
Fiete will die Macht gar nicht- er gibt sie sehr gerne ab, aber er will durchaus wissen, ob ich die Macht denn auch übernehmen kann.
Wenn ich Fiete wegschicke, dann gebe ich mich als Entscheidungsträgerin zu erkennen. Und Fiete trollt sich dann auch sichtlich beruhigt und sehr zufrieden auf seinen Platz. Er weiß dadurch auch, dass ich stark genug bin, um Entscheidungen für uns beide treffen zu können. Ich qualifiziere mich damit, auch draußen Einschätzungen zu Situationen, Autos, Hunden und Menschen abzugeben. Ich entlasse ich ihn damit aus seiner Verantwortung, diesen Part übernehmen zu müssen. Seine Überreaktionen zeigen deutlich, dass es nicht in seiner Macht liegt, Situationen richtig einzuschätzen.
Meine Entscheidungsfähigkeit ist seine Lebensversicherung und je besser ich das leisten kann, desto unaufgeregter ist er bei Begegnungen mit Außen-Reizen.
Das ist ein sagenhafter Effekt! Und es funktioniert!
Wenn ein Fahrrad auf uns zugefahren kommt und ich versäume es, eine Einschätzung abzugeben, bzw. das okay für diesen Menschen auf diesem Ding zu geben, dann will er das Rad angreifen. Sehe ich das Rad und den Menschen an, anschließend Fiete und spreche ein ruhiges »Der ist okay, das gehört so« von mir, dann sieht Fiete mich kurz an und der Fahrradfahrer kann einfach vorüber fahren.
Er kann mir draußen vertrauen, weil ich ihn zu Hause bewegt habe und nicht umgekehrt.
Wenn ich selber auf eine Art das Gefühl für mich verloren habe, weil ich in einem Netz aus Arbeit, Gedankengespenstern und Hamsterradtagen gefangen bin, dann sehe ich spätestens an Fiete, dass ich zunächst einmal einen Gang herunterschalten sollte. Dann kann ich ihn einfach nicht souverän führen, weil ich in Wahrheit selbst ein Nervenbündel bin. Und wie soll das eine Nerven-Bündel das andere führen? Eben…
Fiete ist quasi eine Achtsamkeitsübung der besonderen Art. Schaukel ich mich weiter hoch, zerre ich an ihm herum, weil ich innere Stärke mit »äußerer Härte« verwechsel, indem ich z.B. an Fietes Geschirr herumzerre, dann ist jedes Auto wieder doof und muss attackiert werden.
Auch wichtig ist, dass Wort und Gedanke übereinstimmen. Ein Beispiel: Ein anderer Hund kommt uns entgegen, ich sage zu Fiete:«Der ist okay und geht einfach nur vorbei«, denke aber Oh, weh, gleich rastet er wieder aus…dann nimmt Fiete die Botschaft »aus meinem Kopf« als das, was wahr ist, setzt kleinste Anspannungen von mir um….und rastet aus. Ich habe gelernt, dass ich selbst meinen Worten trauen muss. Wenn ich es nicht tue, warum soll es dann der Hund tun? Ich stürze ihn sogar noch in die Bedrängnis, zu entscheiden, welcher Botschaft er glauben soll. Das kann er nicht leisten und nimmt dann die, die sein Überleben seiner Erfahrung nach am Besten sichert.
Das alles zu verstehen und zu leben, hat Wochen und Monate gedauert. Und es dauert immer noch an.
Für mich kann ich sagen, dass ich durch Fiete sehr mit mir selbst konfrontiert wurde. Klarheit und Führung, Wegschicken, Wege freiräumen,…das kollidierte unangenehm mit meinem Bedürfnis nach Harmonie, nach Versorgertum, nach Ruhe und Behaglichkeit, doch der Weg hat sich für uns alle gelohnt.
Wir denken in kleineren Schritten, sind glücklich, wenn es immer wieder weitere Entwicklungen gibt, wenn »plötzlich« etwas möglich wird, was vorher nicht ging. Wir freuen uns, wenn wir ohne Pöbelei an einem anderen Hund vorbeikommen, wenn die Leine locker durchhängt beim Spaziergang. Und wir verzweifeln nicht, wenn es auch mal einen Schritt zurückgeht. Dann probieren wir es eben weiter. Und wieder neu.
Fiete ist einer der Hunde, die uns verändern. Er ist unser Lehrer für Klarheit und innerer, authentischer Stärke. Wir sind gespannt darauf, wohin uns der Weg noch führen wird.
Ich musste in den letzten Wochen immer wieder an einen Text denken, den ich auf Facebook gefunden habe. Die Autorin ist Jorinde von Projekt Löwenherz (https://www.facebook.com/projekt.loewenherz) :

Bitte gib mich NIE auf

Dieser Artikel ist den besonderen Hunden gewidmet.
Den Angstbeißern, den Wohnungspinklern, den Schissern, den Panikern, den Schnappern, den Grummlern, den Kläffern, den Männer-Hassern, den Leinenaggressiven, den Unverträglichen, den Zerstörern, den Verstörten und all ihren Leidensgenossen.
Dieser Artikel ist nicht als Trainingsanleitung gedacht.
Dieser Artikel hat allein das Bedürfnis, um Verständnis für sie zu bitten.
Sie alle haben etwas gemeinsam:
Sie brauchen Geduld, Ruhe und Zeit.
Ohne das geht gar nichts.
Und sie brauchen Menschen mit Durchhaltevermögen. Menschen, die sie nie aufgeben. Die an sie und sich selbst glauben.
Die bereit sind, immer wieder neue Wege zu beschreiten.
Diese Tiere sind nicht so geboren. Denn am Anfang sind sie alle gleich.
Kein Tier, dass sich durch sein Verhalten isoliert ist damit glücklich.
Immer haben äußere Umstände ihre Situation hervorgerufen.
Meist war der Mensch zumindest involviert, wenn nicht sogar der Verschulder.
Ist es dann nicht unsere Pflicht, ihnen ihr freies Leben zurück zu geben?
Auf diesem Foto ist mein Hund Niki.
Unsere Wege kreuzten sich vor über 10 Jahren.
Niki war damals 8 Monate und alles, was er bis dahin kannte, war die Kiste, in der er seine ersten 6 Lebensmonate verbracht hatte und sein Zwinger im Waldtierheim, aus dem ich ihn holte.
Unser Weg war sehr, sehr lang.
Niki hatte vor allem und jedem blanke Panik.
Doch wir haben es geschafft über die Jahre.
Ich habe immer das Gefühl, er steckte damals in einem engen Korsett aus Angst und Panik.
Doch darunter verbarg sich ein ganz normaler Hund.
Und es war meine Aufgabe, diesen hervorzuholen.
Einen Hund aus seiner inneren Isolation bringen zu können, ist etwas ganz besonderes.
Ich habe drei Hunde. Mit allen habe ich eine eigene Beziehung.
Die zwischen Niki und mir wird jedoch immer etwas besonderes sein.
Er hat gelernt, dass er mir blind vertrauen kann und das zeigt er immer wieder aufs neue.
Es gibt kein schöneres Gefühl auf der Welt für mich, als dieses Geschenk zu bekommen. Es ist selten genug.
Einen besonderen Hund bei sich aufzunehmen bedeutet viel Arbeit.
Aber was am Ende dabei herauskommt ist mit nichts auf der Welt aufzuwerten.
Es lohnt sich so sehr.
Bitte gebt eure Freunde nie auf.
Auch wenn sie sich vielleicht als schwieriger entpuppen, als ihr ursprünglich dachtet.
Niemand kann eine Garantie für das Verhalten eines Tieres geben.
Zudem seid ihr schließlich auch selbst maßgeblich an seiner Entwicklung beteiligt.
Und das vom ersten Tag an.
Lasst euch nicht entmutigen.
Bleibt stark und behaltet das Ziel vor Augen.
Einem Lebewesen das zurückzugeben, was ihm meist von Menschenhand genommen wurde:
Seine innere Freiheit.
(Jorinde Leonhardt  vom Projekt Löwenherz)

3 Antworten

  1. Carolin sagt:

    Liebe Maike,
    danke für deine Worte, die mir wieder einmal Kraft geben! Bereits damals, bei unserem Email- Verkehr fühlte ich mich so stark, dass ich wusste, ich kann es irgendwann schaffen. Auch bei uns sind nun 6 Monate vergangen, seid unsere misshandelte Hündin einzog. 6 Monate, in denen ich oft darüber rätselte, warum ich mir das antue- wenn daneben der perfekte Hund bereits sitzt. Warum von vorn anfangen, anstatt mit der 1. Hündin zu genießen, was so schön war? Und dann kam ich an einen (sehr esoterischen) Punkt, an dem mir bewusst wurde, dass es so sein muss. Dass dieser Hund erreichen soll, was alle Hunde davor vergeblich versuchten: Meine Angst zu überwinden. Ich betrachte sie als meinen Spiegel. Sie ist sehr stark und doch so verletzlich und ängstlich.
    Wir haben in 6 Monaten viel erreicht, Trennungsängste sind überwunden, Futter muss nicht verteidigt werden, Menschen können auch freundlich sein, Hunde Spaß machen, Autofahren ist kein Weltuntergang und was lange Zeit dauerte: Ich kann mich trauen, draußen mein Geschäft zu erledigen. Auch Staubsauger, Besen, Treppen und Fahrräder sind ungefährlich.
    An vielem müssen wir noch arbeiten, gerade Hunde- und Menschenbegegnungen sind kritisch, aber ich bin zuversichtlich.
    Ich wünsche euch weiterhin viel Kraft und bin sicher, eure Mühe lohnt sich.
    Alles Liebe!
    Carolin

  2. Marion sagt:

    Liebe Maike,

    wie schön das es Menschen wie dich und Katrin gibt die sich solche „Baustellen“ wie Fiete antun.
    Da hatte er ein gutes Pfötchen an euch zu geraten.

    Wir bekommen nicht den Hund den wir wollen, sondern den Hund den wir brauchen ;-P und da ist er nun !!

    Liebe Grüße
    Marion

  3. Betty sagt:

    Toller Beitrag.. und danke für den interessanten Blog.

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